VON LECH SUWALA
Das Wort Kreativität hat seinen etymologischen Ursprung im lateinischen „creare“, was zeugen, gebären, schaffen, erschaffen bzw. ins Leben rufen heißt. Wird der Begriff „creativity“ ins Deutsche übertragen, gelangt man zu Formulierungen wie „schöpferische Fähigkeit“, „schöpferisches Denken“ oder „schöpfen“ (Stockhammer 1983). Diese Verankerung stammt ursprünglich aus der Theologie und bezeichnet den „Creator“ (Schöpfergott), welcher in der Lage ist, aus dem Nichts etwas Neues (creatio ex nihilo) zu erschaffen. So ist es nicht verwunderlich, dass diese schöpferische Fähigkeit dem Menschen lange abgesprochen wurde (Tatarkiewicz 1980 S.254ff)[1]. Im 17.Jahrhundert wurde der Begriff des Schöpferischen auf herausragende Persönlichkeiten (Genies) mit außergewöhnlichen Fähigkeiten übertragen (Brodbeck 2006 S.246). In der Folge vergingen über zwei Jahrhundert bis sich das Konzept der Kreativität allmählich von verwandten Begriffen wie „imagination, originality, genius, talent, freedom and individuality“ (Albert & Runco 1999 S.17) löste. Das Fundament hierfür legten die Institutionalisierung der Wissenschaft ab Mitte des 17.Jahrhunderts (Aufklärung), zahlreiche Debatten und weltberühmte Werke wie Smiths (The Wealth of Nations, 1776), Malthus (Essay on Populations, 1798) oder Darwins (The Origins of Species, 1859). Schrittweise konnte so die vorherrschende Meinung revidiert werden, dass Kreativität eine mystische Gabe sei. Nichtsdestotrotz konzentrierte sich die Wissenschaft zunächst auf die Erforschung der Genetik genialer Persönlichkeiten (z.B. Michaelangelo, Leonardo da Vinci) (Galton 1869, Freud 1958). Auch Schumpeter (1911) war bei der Konzeption seines „kreativen Zerstörers“ von der Genietheorie bestimmt, die zwei Typen von Menschen unterstellte: den gewöhnlichen Menschen und das schöpferische – in seinem Fall wirtschaftliche – Genie (Brodbeck 1996b). Diese Studien führten zu der Annahme, dass Kreativität einen wesentlichen Bestandteil der Intelligenz ausmachte (Terman 1925, Cox 1926). Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte sich die Kreativitätsforschung von der Intelligenzforschung lösen. Als Wegbereiter gilt der Vortrag des damaligen Präsidenten der American Psychological Association, J. P. Guilford (Guilford 1950); danach setzte die systematische Erforschung der menschlichen Kreativität ein. Mit der Demokratisierung der Gesellschaft erfolgte auch eine Ausweitung des Kreativitätsbegriffs auf alle Menschen (Brodbeck 2006 S.247). Stimmen wurden laut, „das Zeitalter der Genies sei vorbei, in der Wissenschaft genauso wie in Kunst und Politik“ (Matussek 1979 S.7). Gegenwärtig wird Kreativität als ein Phänomen betrachtet „which recognizes the potential for creative achievement in all fields of human activity; and the capacity in the many and not the few“ (NACCCE 1999 S.30) oder es wird argumentiert, dass „creativity is an essential feature of our life“ (Florida 2002a S.30). Kreativität ist – wenn auch mit unterschiedlichen Eigenschaften und in verschiedenen Formen – bei allen Menschenvorhanden (Brodbeck 1996a). Aus diesem Verständnis entwickelte sich ein multidimensionaler Begriff der Kreativität, welcher nicht nur an der menschlichen Person ansetzt, sondern den Blick auch auf eine kreative Problemstellung, einen kreativen Prozess, eine kreative Presse (Überzeugungskunst), ein kreatives Produkt und nicht zuletzt auf das kreatives Problemumfeld (z.B. bestimmte Orte) – auch die sechs P’s[2] genannt –richtet (vgl. Urban 1993, Runco 2007).
Im Gegensatz dazu, ist der Terminus „Kreativität“ im sprachlichen Alltagsgebrauch oftmals mit falschen Assoziationen, hartnäckigen Vorurteilen und Mythen durchsetzt. Drei gängige Mythen werden im Folgenden vorgestellt. Erstens wird vielfach behauptet, dass Kreativität eine besondere Gabe einiger weniger Menschen ist und nicht erlernt werden kann (vgl. die Verkörperung Albert Einsteins, Leonardo da Vincis oder Johann Wolfgang von Goethes als Universalgenies) (vgl. z.B. Lange-Eichbaum 1928). In den Ingenieurswissenschaften bspw. galt Kreativität lange als „black art, possessed by some, and not by others“ oder „result of individual‚ champions’ rather than systematic“ (Cropely & Cropley 2000 S.1). Eine zweite Behauptung liegt darin, dass Kreativität nur in bestimmten Bereichen, allen voran in der Wissenschaft oder in Kunst und Kultur benötigt wird. So ist es nicht verwunderlich, dass unter dem Sammelbegriff „Kreativwirtschaft“ vornehmlich Industriebranchen zusammengefasst werden, die sich überwiegend auf kulturelle oder künstlerische Tätigkeiten beziehen. Ferner spricht man von Kreativen & kreativen Personen stets in Verbindung mit bestimmten Berufen (z.B. Maler, Schriftsteller, Filmemacher etc.). Runco stellt in diesem Zusammenhang einen „Art Bias“ von Kreativität im alltäglichen Sprachgebrauch und -verständnis fest (Runco 2007 S.384). Drittens wird behauptet, dass Kreativität an bestimmte Persönlichkeitsstrukturen oder Räume gebunden sei. Der Tenor in der gegenwärtigen Fachliteratur lautet, dass spezielle persönliche Charakterzüge (z.B. Neugier, Einfallsreichtum, Unabhängigkeit, Risikobereitschaft, Vorurteilsfreiheit, Nonkonformismus, Konflikttoleranz etc.) (z.B. Landry 2000 S.13, Florida 2002a S.31ff, Preiser 2006 S.61) oder bestimmte Raumkonfigurationen (z.B. urbane Agglomerationen, Global Cities, Clustering kreativer Netzwerke) (z.B. Törnqvist 1990 S.108f, Scott 1997 S.324, Hall 2000 S.644) Kreativität begünstigen. So ist vom experimentierfreudigen Wissenschaftler, exzentrischem Künstler oder der toleranten Stadt die Rede (vgl. z.B. Florida 2002 S.252ff, Sonnenburg 2007 S.1). Diese Behauptungen sind grundsätzlich nicht falsch[3], vermitteln aber ein eingeschränktes Bild der Kreativität. Die Verallgemeinerungen bergen die Gefahr, dass Kreativität von spezifischen Kontexten (z.B. besonderen kulturellen, sozialen oder wirtschaftlichen Systemen) losgelöst betrachtet wird (Krätke 2011 S.14). Damit wird diesem multidimensionalen Begriff Unrecht getan.
[1] Lenk differenziert bereits an dieser Stelle zwischen natürlicher und menschlicher Kreativität. Natürliche Kreativität ist dabei als ein prozessual ablaufendes „Grundprinzip der Weltentwicklung“ (Lenk 2000 S.300) zu verstehen, welches von darwinistischen Selektionsvorstellungen bis zu universalen, kosmologischen Verständnissen reicht (vgl. Sonnenburg 2007 S.6). Menschliche Kreativität ist ebenfalls ein Prozess, der allerdings bewusst, intentional, strategische, planerisch, produktiv oder zielorientiert abläuft (Lenk 2000 S.299f). In diesem Sinne kann natürliche Kreativität als „Zufallskreativität“ und menschliche Kreativität als „Designkreativität“ bezeichnet werden (vgl. Lenk 2000 S.315). Der Fokus dieser Arbeit richtet sich vor allem auf menschliche Kreativität, allerdings werden auch richtungweisende Erkenntnisse aus dem Bereich der natürlichen Kreativität zur Erreichung der Forschungsziele berücksichtigt.
[2] In der Literatur wird auch von den 3P’s (people, product, process) (Mayer 1999), den 4 P’s (person (or personality), process, product, place (or press)) (Rhodes 1961, Mooney 1963, Urban 2004), den 5 P’ (Person, Problemstellung, Problemumfeld, Prozess, Produkt) (Preiser 2006) oder von den 6 P’s (person (or personality), process, product, place (or press), persuasion, potential) gesprochen (Runco 2007). Im Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit erweist sich eine leicht abgewandelte Form der 6 P’s (Problem, Person, Platz (Ort), Prozess, Produkt oder Prototyp, Presse oder Persuation (Überzeugungskraft) am fruchtbarsten.
[3] Im Hinblick auf die Raumbindung von Kreativität zeigen zahlreiche Abhandlungen,dass Kreativität ebenso in kleinen Städten vorhanden ist oder in Dispensen Netzwerken organisiert werden kann (z.B. Bell & Jayne 2006 S.4, van Heur 2009 S.1548, Labour & Puissant 2009 S.15, Huber 2012 S.107).
Auszug: Suwala, Lech: Kreativität, Kultur und Raum. – Ein wirtschaftsgeographischer Beitrag am Beispiel des kulturellen Kreativitätsprozesses. Springer. Wiesbaden 2014, S.36-38.