EIN INTERVIEW MIT HITO STEYERL
VON CAROLIN WIEDEMANN
In ihrer Kunst zeigt Hito Steyerl, dass Kunst mit Geld, Gewalt und Macht verbunden ist. Ein Gespräch über Rüstungskonzerne, Mäzene und Systeme künstlicher Dummheit.
Frau Steyerl, auf der Welt sieht es aktuell immer düsterer aus, Nationalisten sind überall auf dem Vormarsch. Was hat die Kunst für eine Antwort?
Man sollte sich einmal anschauen, wie die nationalistischen Bewegungen mit anderen Kräften verstrickt sind, von wem sie etwa gefördert werden. Trumps Wahlkampf wurde von der Deutschen Bank finanziert: Sie ist der Hauptkreditgeber seines Firmengeflechts. Und nun wird sie von seinem Sieg profitieren: 2015 hatte sie eigentlich die Auflage bekommen, 14 Milliarden US-Dollar Strafe zu zahlen für die Manipulation des Finanzmarktes, für die Zinstricksereien vor der Finanzkrise. Welch Glück für die Deutsche Bank, dass Donald Trump nun Präsident wurde! Jetzt ist nicht mehr klar, ob die Bank überhaupt noch ihre Strafe zahlen muss.
Die Machenschaften der Deutschen Bank standen auch im Zentrum Ihrer letzten Arbeit „Factory of the Sun“: Eine kriminelle Organisation beschleunigt Licht, um damit beim Handel Vorteile zu haben. Das klang nicht sehr realistisch.
Das ist es aber! Die Idee basiert auf „Autobahn Equity“, einer Unterabteilung der Deutschen Bank, die mit einem Algorithmus namens „Stealth“ nach Liquidierungsgelegenheiten im „Dark Pool“ sucht, also in der bank- und börseninternen Plattform für den anonymen Handel mit Finanzprodukten. Und tatsächlich stellte sich vor kurzem heraus, dass die Deutsche Bank ihre Kunden mit „Autobahn Equity“ betrogen hat: Sie hat das Licht zwar nicht beschleunigt, wie ich es gemutmaßt hatte – sie hat es verlangsamt, um immer genau dann Geschäfte abzuschließen, wenn sie zum Nachteil ihrer Kunden und zu ihrem eigenen Vorteil waren. Mein Video „Factory of the Sun“ ist damit plötzlich von einer pessimistischen Fiktion zum dokumentarischen Video geworden.
So fiktiv sind Ihre Arbeiten meistens ohnehin nicht. Sie decken vielmehr ganz reale Verwicklungen von Gewalt, Geld, Macht und Kunst auf, wie in „Is the Museum a Battlefield“. Ist das Museum tatsächlich ein Schlachtfeld?
Museen sind in mehrerlei Hinsicht involviert in die extremen geopolitischen Verwerfungen unserer Zeit: Zum einen als Orte, an denen gesellschaftliche und politische Kämpfe ausgetragen werden, wie gerade in der Türkei. Der älteste türkische Binnenkonflikt, der sogenannte Kurdenkonflikt, ist vor eineinhalb Jahren wieder ausgebrochen – Anlass war der Anschlag auf ein Kulturzentrum in Suruç. In der Region hatten Kulturinstitutionen 2014 begonnen, Flüchtlinge zu beherbergen – bis sich in einem dieser Kulturzentren 2015 ein IS-Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und mehr als 30 Leute umgebracht hat. Seit dem Anschlag von Suruç ist der Konflikt wieder gewaltsam und hat Tausende Menschen getötet und große Teile der Infrastruktur im Südosten der Türkei zerstört. Als ich im Mai zum letzten Mal in Diyarbakir war, wurde gerade die staatliche Blockade eines Teils der Altstadt aufgehoben: Die Menschen konnten zurück zu ihren Häusern – doch sie waren nicht mehr da. Etwa ein Drittel der Altstadt war planiert, Kinder suchten in Ruinen nach Kleidungsstücken. Diese Zerstörung ist kaum dokumentiert, denn überall sind staatliche Checkpoints aufgebaut, um unter anderem das Fotografieren und Filmen der Szenerie zu verhindern. Jede Art von Zeugenschaft ist untersagt. Wenn man versucht, das Verbot zu umgehen, wird man sofort festgenommen.
Ihre Jugendfreundin Andrea Wolf schloss sich in den 1990er Jahren der PKK an. In „Is the Museum a Battlefield“ greifen Sie ihr Schicksal auf: Sie fragen, woher die Patronenhülse kam, die Wolf 1998 getötet hat. Was hat das mit Museen zu tun?
Museen profitieren extrem von gegenwärtigen Konflikten. Da staatliche Subventionierung für Kunst immer weiter gestrichen wird, springen zunehmend private Mäzene und Sponsoren ein – auch Waffenhersteller wie der türkische Koç-Konzern, der Waffen für den Kampf gegen die Kurden bereitstellt. Diese Unternehmen werden angesichts der aktuellen Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen gute Geschäfte machen. Und so wird mit einer gewissen Verzögerung mehr Geld in den Kunstmarkt fließen. Es wird bald einen neuen Boom der Gegenwartskunst geben.
Von dem dürfte die Öffentlichkeit kaum etwas mitbekommen, wenn man nach den Recherchen in Ihrer Arbeit „Duty Free Art“ urteilt. Da zeigen Sie, dass Kunstwerke zunehmend als Spekulationsgüter in Freihäfen steuerfrei gehandelt und vor allem gesammelt werden. Werden die Werke damit nicht komplett unsichtbar?
Unglaublich viel Kapital wird mittlerweile in Kunstwerken angelegt. Diese Kunstwerke würden aber Steuern kosten, wenn sie in den Wohnzimmern aufgehängt würden, und deswegen parken viele Sammler sie in zollfreien Transitzonen, wie etwa lange Zeit in den Dutyfree-Freihäfen in Genf oder neuerdings in den zollfreien Distrikten rund um London. Und ja, damit wird Kunst entzogen, verschwindet. Das ist angesichts dieser Art von Spekulationskunst aber oft auch eine gute Nachricht.
Alexander Koch, der Ihre Werke in seiner KOW-Galerie in Berlin zeigte, schrieb, diese Freihandelslager seien ebenso wie die Bürgerkriege das Rückgrat des internationalen Kunstbetriebs und Katalysatoren für globale Ungleichheit.
Die Liquiditätsblase wächst, Gemeingüter, wie eben auch Museen, werden zunehmend in private Hände umverteilt. Wir sehen, wie der Kunstmarkt von der Welt der Superreichen abhängt – deshalb ist er bislang auch noch nicht eingebrochen, weil die sogar noch mehr Geld haben als vor der Krise.
Und so auch Biennalen finanzieren, zu denen Sie eingeladen werden. Eignen sich die Biennale-Macher damit nicht Ihre Kritik einfach an? Und vielmehr noch: Profitieren Sie selbst nicht von genau den Zusammenhängen, die Sie kritisieren? Gerade die Istanbul-Biennale wird doch hauptsächlich vom Koç-Konzern gesponsert.
In diesem Spiel der Kritik kann niemand gewinnen. Ich habe mich nie darum gerissen, als Künstlerin in dieser Lage zu sein. Jetzt ist es so, dass ich plötzlich beteiligt bin. Das ist ein unglaubliches Privileg, weil ich Sachen sehen kann, die andere Leute nicht sehen. Natürlich bin auch ich dabei total in das kapitalistische System eingebunden. Viele Leute behindern sich dadurch, dass sie denken, dass ihre Eingebundenheit sie handlungsunfähig mache, dass sie nicht unschuldig genug seien, um – ja wozu eigentlich? Widersprüche sind eine unglaubliche Energiequelle. Unschuld dagegen ist hochgefährlich. Hemingway sagte: Jede verwerfliche Tat beginnt als Unschuld.
Sie meinen also, die Leute werden passiv auf Grund ihrer Angst vor Widersprüchen. In anderen Arbeiten machen Sie die Digitalisierung für die Passivität der Menschen verantwortlich.
Unsere Realität wird heute immer mehr von Mechanismen wie in einem Computerspiel durchdrungen. In China werden bereits staatliche „Social Credit Scores“ geplant: Dafür werden alle Aktionen eines Menschen, on- und offline, als einzelne Punkte zusammengesammelt und summiert zu einem Gesamtergebnis. Als wäre das Leben ein Spiel mit einem bestimmten Ziel, wofür man bestimmte Treffer benötigt.
Und dabei werden Handlungsoptionen zunehmend vorgegeben auf Basis der Daten, die wir bereits hinterlassen haben. Sind Sie auch eine Kritikerin der künstlichen Intelligenz?
Nein, das bin ich nicht. Ich finde ganz im Gegenteil: Die Gefahren künstlicher Intelligenz werden überschätzt. Man sollte sich davor hüten, von einer Art allumfassenden künstlichen Intelligenz auszugehen, mit deren Hilfe Regierungen dann die Menschen vermessen, ihr Verhalten vorherberechnen und aufeinander abstimmen könnten, so dass alles reibungslos funktioniert. Das ist nicht so. Vielmehr kommt es zu sehr viel Reibung, weil gerade nämlich nicht die künstliche Intelligenz, sondern Systeme künstlicher Dummheit sich durchsetzen, die sich überlappen und jede Menge Dysfunktionalität erzeugen. Das ist die eigentliche Gefahr.
Was meinen Sie damit?
Systeme von niedriger technischer Komplexität, wie Bots oder Roboter, die nur zwei oder drei scriptlines brauchen, und selbst mechanische Systeme wie Fahrkartenautomaten erzeugen gerade viel mehr Gefahr für unsere Gesellschaft als etwa „Deep Mind“, die Firma für künstliche Intelligenz, die ein Computerprogramm entwickelt hat, das im Brettspiel „Go“ alle Menschen schlägt. Als Systeme künstlicher Dummheit bezeichne ich jene, die die Automatisierung ganzer Branchen vorantreiben, ohne dass über Alternativen für die Beschäftigten nachgedacht wird, die ganze Bevölkerungsgruppen überflüssig machen. Systeme, die zu Frustration und großen Verwerfungen führen. Neue Firmen wie Uber oder Amazon, ja der gesamte Plattformkapitalismus, der einzelne Unternehmen in Windeseile zu Monopolen auf Märkten macht, die jene Unternehmen selbst erst schaffen, ohne etwas zu produzieren, dieser Plattformkapitalismus reorganisiert die Gesellschaft auf radikale und auf dumme Weise und führt zu Wahlsiegen etwa von Trump. Ich arbeite gerade an diesen Themen.
Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Arbeiten irgendwas ändern können? Bei der Ausstellung in Berlin standen viele Leute Schlange, um Ihre Videos zu sehen.
Ich versuche, Sachen zu sagen, weil ich sie selber faszinierend finde und weil ich denke, dass man dann die Welt besser verstehen kann. Das sind keine Mittel, die zu einem bestimmten Zweck eingesetzt werden. Das funktioniert schon lange nicht mehr. Dazu müsste es öffentliche Debatten geben, in denen wirklich substantiell Kritik geübt wird und die so zu substantieller Veränderung führen. Das ist nicht so.
Angesichts der rassistischen, nationalistischen Mobilisierungen schien Ihre Anleitung zu Solidarität, die Sie neulich äußerten, genauso relevant wie ein Appell zu grundsätzlicher Kritik. Sie sagten: Man soll sich einbilden, man sei gleich. Was heißt das?
Man denkt immer, Solidarität empfände man mit denen, die gleich sind, aber das ist eine Sackgasse. Die Menschen sind sehr unterschiedlich, und wenn sie solidarisch sein wollen, dann müssen sie diese Differenz aktiv ignorieren – wohl wissend, dass das dann eine Fiktion ist, eine notwendige Fiktion.
Dieses Interview erschien in der Online-Ausgabe der FAZ