VON MIMMO CATANIA
Wann immer ich unter der Woche eine Galerie besuche, erlebe ich eine Situation, an die wir uns anscheinend gewöhnt haben, und das schon seit einigen Jahren. Ich spreche nicht allein von den kleinen Galerien, sondern hauptsächlich von der großen, oder, wenn Sie so wollen, von denen, die auf dem internationalen Parkett der Kunst eine Rolle spielen.
Bin ich der einzige Mensch, der noch Ausstellungen in Galerien besucht, wenn die Eröffnung längst vorbei ist? Oder gibt es noch andere, die von diesem Privileg Gebrauch machen? Aber ist es überhaupt ein Privileg oder nicht vielmehr ein ziemlich folgenschweres Phänomen, das alle betrifft, die mit Kunst zu tun haben?
Als ich in den achtziger Jahren die Galerien großer Städte besuchte, gab es Positionen, die heute im Traum nicht mehr vorstellbar sind. Eine wichtige Galeristin in Rom beispielsweise antwortete auf die Frage der Kuratorin nach dem Erfolg der gerade laufenden Ausstellung, es ginge nicht so gut. Sie bezog sich damit natürlich auf die Verkäufe und schloss an, dass sie gezwungen sei, an Messen teilzunehmen. Gezwungen? Aus heutiger Sicht scheint die Teilnahme an einer Messe ein Privileg, das abgesehen von dem existenzsichernden Zweck ein hohes Prestige verleiht. Aber ist dem wirklich so?
Abgesehen davon, dass die Teilnahme oder Ausstellung auf Messen in den seltensten Fällen Platz in der Ausstellungsliste des Künstlers findet, weil er sich damit verdächtig macht, keine anderen Einladungen vorweisen zu können. Wenn nichts verkauft wird, ist der Auftritt seiner Kunstwerke in einer Messebox für den Künstler mit das Schlechteste, was ihm passieren kann: Es ruiniert den Ruf. Anders sieht es für die Galeristen und Sammlern aus, denen die Messe eine vielversprechende Bühne bietet, um nicht von der Aufgeregtheit der Kuratoren und dem Eifer der Kunstjournalisten zu sprechen, deren Beiträge ich aufgehört habe zu lesen, weil sie nur noch Berichterstattung enthalten, in der Art: Der Künstler macht dies, der macht das, diese Galerie hat zugemacht … und wird vielleicht woanders wieder eröffnet … oder auch nicht … usw. Kunstkritik? Fehlanzeige. Nicht zuletzt wird die Teilnahme an den Messen auf der Webseite der Galerien herausgestrichen, als handele es sich um einen errungenen Preis, nicht um einen Hype mit Fetischcharakter.
Warum nicht sagen, wie es um die Dinge wirklich steht. Die verschwindende Präsenz eines Publikums in den Galerien ist der Tatsache geschuldet, dass beim Besuch einer Ausstellung wenig zurückbleibt. Die ausgestellten Werke vermögen weder zu beeindrucken noch anhaltendes Interesse zu wecken. Ein möglicher Grund ist, dass sich die Ausstellungen gar nicht an ein Publikum richten, sondern an die Sammler, wie schon Tom Wolfe vor beinahe einem halben Jahrhundert klug konstatiert hat (The Painted Word, 1975). Damals waren die Galerien aber noch stark besucht, wie kommt das? Hat man mit ihrem Angebot damals mehr anfangen können? Oder war die ausgestellte Kunst eine andere, eine Art Springteufel, der noch im Gedächtnis blieb, wenn man nach dem Besuch sich wieder in den Verkehr begab, mit einem leichten Brummen im Kopf, das weniger schnell verflog als heute, wo man nach Verlassen der Galerie oft kaum noch weiß, was man gerade gesehen hat?
Die Messen bieten den Galeristen eine Möglichkeit der Selektion, die Teilnahme ist ein Grund, darauf stolz zu sein. Dann heißt es: Diese Galerie kann nicht teilnehmen, weil sie nicht über das ausreichende Budget verfügt, eine andere hätte teilnehmen können, durfte aber nicht, weil sie angeblich nicht innovativ genug ist. Oder vielleicht, schlimmer noch, weil wichtige Galeristen in der Auswahljury sitzen, die andere torpedieren, um die eigene Position zu stärken? Nur um dann irgendwann selbst in den Strudel von auf und ab gezogen zu werden. Galeristen, die gezwungen sind zu schließen, weil sie die hohen Messegebühren durch Verkäufe nicht ausgleichen konnten, und die dann schimpfen, dass der Kunstbetrieb nicht mehr funktioniere wie früher. Warum, wie funktionierte er denn früher?
Man sollte sich hüten, für das Scheitern einer Galerie das Unvermögen des Galeristen und dessen Auswahl verantwortlich zu machen. Ich kann diese Auffassung nicht teilen, denn wenn ich mich umsehe, dann kann ich in der Auswahl gar nicht so große Unterschiede erkennen, sie ist bei allen ziemlich ähnlich. Vor allem zeugt sie davon, dass kaum je einer dieser Galeristen einen Fuß in das Atelier eines Künstlers gesetzt hat. Die Auswahlentscheidungen werden offensichtlich woanders getroffen. Keine Springteufel, nirgends. Diese Galeristen sind die Komplizen davon, dass es keine Idee mehr gibt von dem, was Kunst zu sagen hat oder was sie sagen könnte, wenn man ihr – durchaus mit Kritikvermögen – zuhörte.
Zwei Galeristen, denen ich freundschaftlich verbunden bin, einer aus New York, einer aus Berlin, antworteten quasi unisono auf meine Frage, warum sie eigentlich nicht an Messen teilnehmen: „Solange ich in der Galerie verkaufen kann, spare ich mir die überteuerten Messen.“ Gut so, so sehe ich das jedenfalls.