UND ALLES GEHT SEINEN GEWOHNTEN GANG WEITER

VON RYSZARD WAŚKO

Neulich hat mich ein Dealer aus London besucht, der (glaube ich) nach Berlin von der Biennale in Venedig gekommen ist. Gleich beim Eintreten in mein Atelier fragte er mich: ‚Richard, do you know the actual tendency in art?‘ Ich antwortete: ‚I do know it. But, tell me what’s that?‘ (ich dachte, dass tatsächlich etwas wesentliches entstanden ist). Und er darauf: ‚The Name of the new tendency in art is art market!‚ und brach in Gelächter aus.

Also im Allgemeinen stimmt irgendetwas nicht und Kunst, zumindest solche die in diesem Moment gemacht wird, hat sowieso nichts zu sagen und sie spielt keine Rolle, weil sie einfach selbst den Bezug zur Realität verloren hat. Sie hat einfach mit dieser Realität nichts zu tun. Es geschieht nichts Neues, nichts Erfrischendes in der Kunst. Sie ist tot und bedeutungslos. Völlig isoliert vom Leben, mit dem sie nichts Gemeinsames hat (selbstverständlich außer einigen individuellen Anstrengungen). Aus diesem Grund besuche ich keine Ausstellungen mehr, weil sie über nichts handeln. Es geht nur um „SALE“. So, wie es alle gut wissen. Wenn man zu einer Eröffnung kommt, lautet die erste Frage: Gibt’s Erfolg? d.h. ob man etwas verkauft hat und für wieviel! Daran wird heute der Wert der Kunst gemessen. Es ist eine kranke Situation der Kunst. Deshalb interessieren mich Kunst, aber auch die Kunstwelt überhaupt nicht. Lieber organisiere ich ein Treffen in meinem Atelier, um interessante Leute kennenzulernen und mich sinnvoll mit ihnen zu unterhalten, über eigene oder über andere Arbeiten. Zumindest geht daraus etwas Energetisches hervor. Es entsteht daraus eine gegenseitige Inspiration.

Aus meiner langjährigen Erfahrung und ungefähr 35 jährigen Aktivität in der Kunst weiß ich aber, dass aus einer Unterhaltung darüber, wie schlecht dies oder jenes ist, nichts herauskommt. Ein Beispiel: 1993 habe ich im Rahmen des Artist’s Museum mit eigenem Geld das Buch „The End oft the Art World“ des amerikanischen Kritikers Robert C. Morgan drucken lassen. Morgan hat in seinem Buch (vor 25 Jahren) genau das alles beschrieben, worüber heute Künstler und Kunsttheoretiker sprechen. Es sind so viele Jahre vergangen und aus seinen Prognosen und aus der Kritik des Kunstmarktes, der die Kunst beherrscht hat, ist nichts herausgekommen. Sein Text, denke ich, wurde komplett vergessen und wahrscheinlich erinnert sich niemand heute daran – sogar diejenigen nicht, die dieses Buch gelesen haben. Und es war wirklich ein fantastisches kritisches Material, von dem ich damals sehr begeistert war und deshalb es gedruckt habe. Übrigens: Morgan ist kein unbekannter Kritiker, sondern ein geschätzter Autor vieler Bücher über Kunst. Und so ist ja alles in diesen 25 Jahren gelaufen, obwohl ich mir all die Jahre unzähliges Gejammer anhören musste: über den Zustand der Kunst, wie schlecht alles ist, dass es keine Freiheit gibt, über diesen und jenen Kram. Und alles geht seinen gewohnten Gang weiter.

Zum Schluss noch etwas. Kurz vor der Eröffnung der documenta in Kassel war ich hier in Berlin Zeuge einer merkwürdigen Geschichte. Es war ein schönes Wetter, also ich machte mich auf den Weg in ein gemütliches Café in der Potsdamer Straße. Am Sonntag war es leer auf dieser gewöhnlich belebten Straße. Plötzlich, auf der anderen Straßenseite tauchte eine kleine Gruppe von Jungen auf. Sie hatten Transparente ausgerollt und Schilder aufgestellt mit Texten von der Art wie: Wir wollen eure documenta nicht! Ich erinnere mich nicht mehr an all diese Texte, aber es war eine heftige Protestaktion, wie ich vermutete, einer Gruppe von Akademiestudenten oder von jungen Künstlern. Ich beobachtete diese ganze Situation etwa 15 Minuten lang und plötzlich erschien die Polizei und löste die Protestaktion auf. Ich war schockiert, weil mich das an meine Jugendzeit erinnerte. Im so genannten Kommunismus bin ich ein junger Künstler gewesen und wir selbst haben auch solche provokanten Aktionen gemacht. Gut, aber damals ist das in einem anderen politischen System geschehen, unter dem Regime und hier gibt es doch Demokratie und Meinungsfreiheit…