VON FRIED ROSENSTOCK
Man könnte das System der Kunst mit dem der Politik vergleichen, aber eigentlich passt die Wirtschaft, die allerdings eng mit der Politik verflochten ist, besser. Nicht jedermann kann reich werden, etwa 10% der Bevölkerung besitzen 52% des Vermögens der Bundesrepublik Deutschland. Nur 2% der KünstlerInnen (diese alberne political correctness verwende ich hier nur einmal) können wirklich berühmt werden, sonst funktioniert das System nicht mehr. Wäre es demokratisch, wären die Künstler und die Künstlerinnen austauschbar und hätten einen geringen Marktwert. Das System ist aber streng hieratisch und aristokratisch. Eine kleine Gruppe von Experten entscheidet, wer in der Kunst nach oben kommt und wer nicht. Das geschieht mit großem Geschick, immer wieder wachsen von unten junge Künstler nach, die es „schaffen“ – ein geheimnisvoller Prozess, gesteuert von angeblichen Qualitätskriterien, die man gerade an junger Kunst oft noch nicht erkennen kann: Eine seismographische Talentsuche, um die Verjüngung und Offenheit der Kunst behaupten zu können. Den Ausgleich bewirken aus dem System gefallene ältere oder vergessene Künstler oder solche, die ihren Marktwert auf die Dauer nicht halten konnten.
Jan Hoet, bei einer „Alte Hasen“ genannten Diskussion, in Rückbesinnung auf die Vorbereitung seiner Documenta (1992) zu dieser Problematik angesprochen, äußerte, dass er damals nur 4% der Künstler, die ihm persönlich aufgefallen waren, einlud, alle anderen gingen auf Empfehlungen zurück.
Das erklärt auch die panische Angst weniger bekannter oder vernetzter Kuratoren vor „falschen“ Entscheidungen, sie sichern sich lieber ab, als ihre Karriere durch persönliche Vorlieben zu riskieren. So werden weltweit, zumindest für einen gewissen Zeitraum, immer wieder dieselben Namen vorgestellt, dann aber auch rechtzeitig und international „abgesprochen“, eine neue Welle an Nachwuchs in Szene gesetzt.
Die Literatur liefert uns Gegenargumente gegen die bis hierher vorgestellte, vielleicht nicht genügend differenzierte Argumentation. Die Literatur und die Philosophie (wie wohl letzten Endes auch die Kunst und die Musik) sind so kompliziert geworden, dass nur noch hoch spezialisierte Kritiker ihre Bedeutung erkennen können, man denke beispielsweise an Arno Schmidt, den das normale Lesepublikum bestimmt nicht „entdeckt“ hätte. Oder, in der Kunst, an einen Gregor Schneider…
Wie sollte das System der Kunst sonst funktionieren, nur Gewerkschafts- oder Bezirksamtskunst? Eine schreckliche Vorstellung. Zum Kunsthasser würde man dort sofort, Überforderung ist jedenfalls stimulierender als Mittelmaß.
Trotzdem verursacht das System beim Publikum und bei den Künstlern ein tiefes Unbehagen, fast alle fühlen sich letzten Endes ausgeschlossen, die Künstler, weil sie nichts abbekommen vom Erfolg der wenigen auserwählten Kollegen und das Publikum, weil es überfordert ist und sich letzten Endes genauso wenig in der Kunst zurechtfindet, wie in der höheren Mathematik.
Jeder „normale“ Beruf gewährt zumindest eine angemessene Bezahlung, die meisten Künstler und Künstlerinnen können von ihrer Arbeit nicht leben und häufen eine Unzahl von meist unverkäuflichen Werken an, die bei ihrem Tode die Erben belasten oder vernichtet werden. Selbst diese totale Aussichtslosigkeit hat keine abschreckende Wirkung, immer mehr Künstler kämpfen um Anerkennung. Das ist so ähnlich wie mit der Endlichkeit des Lebens, jeder weiß davon, aber keiner verhält sich dementsprechend. Ein Leben ohne Kunst ist andererseits auch eine Horrorvision.
Also müssten wir eigentlich das System verändern, allen voran die Künstler selbst…
Ich erwarte Ihre Vorschläge.